Am 18. Oktober nach Weiden!

Eigentlich ist Weiden eine beschauliche Kleinstadt mit etwa 40.000 Einwohnern im Norden der Oberpfalz. Vor allem über eine Sache redet man in Weiden nicht gerne öffentlich: Die historisch gewachsene rechte Szene, die zu einer der relevantesten in Bayern gehört. Sich nicht mit dem Vorhandensein von nationalsozialistischer Ideologie in der Stadtgesellschaft auseinanderzusetzen hat eine gewisse Tradition in Weiden. So liegt die Stadt nur wenige Kilometer entfernt vom ehemaligen Konzentrationslagers Flossenbürg und war damit unumgänglich in die Verfolgungs- und Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus eingebunden. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Ort existiert jedoch erst seit der Gründung der KZ-Gedenkstätte 2007, also erst lange nach dem Tod der vor Ort lebenden ehemaligen Täter*innen und Helfer*innen.

Spätestens seit den 90er Jahren existiert in Weiden eine Neonaziszene, deren Kontinuitäten sich bis heute fortsetzen. Anfangs prägten NPD und Kameradschaften die Szene. In den 2010er Jahren gab es in Weiden und der Region gleich zwei NPD-Kreisverbände sowie eine im Freien Netz Süd organisierte Kameradschaft. Heute zählt Weiden mit dem – nach eigenen Angaben – mitgliederstärksten Kreisverband Bayerns sowie fast einem Viertel der Stimmen bei der letzten Bundestagswahl zu einer der Hochburgen der AfD in Bayern. Dies liegt nicht daran, dass sich ortsansässige Parteistrukturen moderater als andernorts gäben, um damit breitere Wähler*innenschichten anzusprechen. Die Partei gibt sich offen rechts. So geriet die lokale AfD beispielsweise in die Schlagzeilen, weil sie ein Wahlkampf-Fahrzeuges mit dem Kennzeichen „HH-45“ nutze.

Schlüsselfigur Patrick Schröder

Organisiert ist die extreme Rechte in Weiden heute primär als scheinbar loses Netzwerk um den Kader Patrick Schröder. Schröder ist seit den frühen 2000er Jahren politisch aktiv undheute die zentrale Figur regionaler rechter Strukturen. Er wurde zuerst Mitglied in einer freien Kameradschaft und anschließend in der NPD. Inzwischen kokettiert er weniger offen mit klassischen, militanten Neonazikontexten, sondern hat seine Aktivitäten auf den Betrieb eines Neonazi-Radios (FSN – Frei, Sozial, National) und verschiedene Unternehmertätigkeiten in der rechten Szene verschoben, wodurch er versucht gezielt als Stichwortgeber zu fungieren.

Seit Jahren gerät Schröder öfters in Konflikt mit anderen traditionellen Neonazis wie etwa dem III. Weg. Die Konflikte entspringen weniger inhaltlichen Differenzen – sowohl Schröder als auch die Neonazis des III. Wegs vertreten eine geschlossen nationalsozialistische Ideologie – sondern beziehen sich auf die strategischen Ansätze, um dieses Ziel zu erreichen. 

Schröder versucht seit einigen Jahren eine sogenannte „White Supremacy 3.0“ stark zu machen. Damit ist gemeint, extrem rechte Ideologien, Rassismus, Misogynie und Antisemitismus weniger plakativ und militant zu verbreiten. Stattdessen wird der Fokus vermehrt auf einen passenden Lifestyle und Vermittlung über neue Medien gesetzt. Ziel ist es, dadurch neue Anhänger*innen und gesellschaftliche Akzeptanz für extrem rechte Positionen zu gewinnen. In diesem Kontext sind auch seine Machenschaften als Medienaktivist und Unternehmer zu verstehen. In seinen Sendungen versucht er auf die strategische Ausrichtung der Neonaziszene im deutschsprachigen Raum einzuwirken. Als Unternehmer wirkt er darauf hin neonazistische Ideologie als Lifestyle zu verkaufen, wie z.B. mit seiner Kampfsportmarke „Ansgar Aryan“. In einem Artikel in einem Neonazi-Magazin vertrat er die These es bräuchte eine neue Struktur, die eine niedrigschwellige, spektrenübergreifende Vernetzung bieten solle. Dieser Kooperationsgedanke zeigt sich u.a. auch durch Schröders Anwesenheit auf zahlreichen AfD-Veranstaltungen in Nordbayern. 

Wandern bis zum Tag X: Die Active Clubs

Den Vernetzungs-Ansatz verfolgt Schröder auch bei seinem aktuellen Projekt, den sogenannten Active Clubs, deren Aufbau er in ganz Deutschland maßgeblich vorangetrieben hat. Active Clubs sind eine neuartige Organisationsform innerhalb der rechen Bewegung. Sie sind dezentral organisiert und vermitteln den Eindruck eines losen Netzes. Primär geht es in den Active Clubs um gemeinsame Sport und Freizeitaktivitäten, die aber mehr oder weniger offensichtlich mit neonazistischer Ideologie verbunden werden.

Kommuniziert wird über verschiedene regionale oder auch überregionale Telegram Channels. Der Inhalt dieser Kanäle besteht aus einer Kombination von Fotos und Video bei denen Männer Sport – meist Kampfsport – betreiben, rechter Propaganda und Werbung selbst einem Active Club beizutreten. Die Telegramkanäle sind offen und jede*r kann beitreten. Durch diese offene und dezentrale Struktur sollen Zugangshürden abgebaut werden. Mit der Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft, in der es um das niedrigschwellige Thema Sport und Fitness geht, wird versucht, neue Personen zu rekrutieren. Innerhalb der Struktur können dann potenzielle neue Aktive zusehends radikalisiert werden. Durch eine sportlich modernisierte NS-Ästhetik zeigt man sich zeitgemäß und anschlussfähig.

So wurde für die Teilnahme an der neonazistischen Demonstration anlässlich der Bombardierung Dresdens explizit ein Styleguide verfasst, um zu verhindern, dass Personen im 90er Jahre Neonazistil im Active Club Block mitlaufen.

Die sportlichen Aktivitäten umfassen Wanderungen, die oft zu historischen Orten führen, die in irgendeiner Weise für die rechte Geschichtsschreibung relevant sind, klassische Fitness im Studio und vor allem Kampfsport. Inhaltlich und ästhetisch wird dabei ein Bild von rechten Aktivisten als fitte, muskulöse Männer vermittelt, die Kenntnisse in verschiedenen Kampfsporttechniken besitzen und diese regelmäßig praktizieren. Diese Fähigkeiten werden inzwischen auchdurch Workshops und Schulungen in anderen extrem rechten Strukturen wie bei den Jungen Nationaldemokraten weitergegeben oder es wird bei Veranstaltungen von NPD/Die Heimat oder Freien Sachsen für das Konzept der Active Clubs geworben.

Die zur Schau gestellte Militanz und körperliche Fitness wird nicht nur dazu genutzt interessierte junge Männer anzusprechen. Sie soll auch nicht vorranging dazu genutzt werden neonazistische Straßengewalt auszuüben, auch wenn die Bereitschaft dazu vorhanden ist und auch immer wieder umgesetzt wird. Die Active Clubs verfolgen ein größeres Ziel: Durch sportliche Aktivitäten soll ein großes Netzwerk entstehen, dass sich auf eine große militante Aktion vorbereitet. Man rechnet damit, dass es einen sogenannten Tag X geben wird, an dem man gegen politische Gegner*innen und Feindbilder losschlagen kann, um die Macht zu übernehmen. In amerikanischen Active Club Strukturen wird explizit von der Vorbereitung auf einen Rassenkrieg gesprochen. Implizit sehen sich die deutschen Active Clubs als eine Art neue SA, die dann etwa Veranstaltungen und Versammlungen der AfD absichern und militant gegen die gemeinsamen Gegner*innen vorgehen könnte.

Ungebrochen: Nazismus als ideologische Kontinuität

Auch wenn Schröder und die Active Clubs versuchen, durch ihr Auftreten ein modernisiertes Bild vom historischen Nationalsozialismus zu zeichnen sind die ideologischen Kontinuitäten überdeutlich. Man könnte die Active Clubs als zeitgenössische Variante faschistischer Männlichkeitsfantasien fassen. Das Männlichkeitsideal im Nationalsozialismus war stets durch das Bild des Kriegers geprägt. Männlichkeit war gleichgesetzt mit physischer Stärke, Disziplin, Kampf- & Opferbereitschaft, Gehorsam, Kameradschaft und die Bereitschaft für die NS-Volksgemeinschaft zu sterben. Aus diesem Geschlechterbild leiteten sich viele nationalsozialistische Vorstellungen ab. So war das Bild von Frauen primär durch das der Mutter geprägt, die neue Soldaten gebären sollte. Von besonderer Bedeutung waren Männerbünde: Männer waren in Kampfgemeinschaften zusammengeschlossen, die als zentrale Gemeinschaften dienten (z.B. SS oder Militäreinheiten). Insbesondere nicht-heteronormative Sexualitäten oder geschlechtliche Identitäten wurden als fundamentale Angriffe auf diese Männerbünde sowie die NS-Ordnung an sich wahrgenommen und deswegen massiv verfolgt. Viele queere Personen endeten in den Vernichtungslagern der Nazis.

In den Neonazistrukturen um Schröder sind deutliche Anleihen zu erkennen. Active Clubs ritualisieren wie einst NS-Männerbünde Gewalt und Kameradschaft als zentrale Elemente faschistischer Männlichkeitsphantasien. Das geht zwangsläufig mit vehementer Misogynie und Queerfeindlichkeit einher. So geht man inzwischen davon aus, dass Aufrufe gegen ländliche CSD-Demos vorzugehen, durch die Active Clubs zumindest gestreut wurden.

Darüber hinaus zeichnen sich auch weitere ideologischen Kontiunitäten ab, wie beispielsweise die Aufladung der Natur bei Wanderung, die der deutschen Blut-und-Boden-Ideologie entstammt, der Sozialdarwinismus der sich in dem Bild der Active Clubs (und der NS-Ideologie) von Gesundheit und Fitness widerspiegelt. 

Zudem ist ihnen ein Antikommunismus immanent sowie die Ablehnung jeglicher als progressiv empfundenen Bewegungen und Lebensentwürfe. Und dann ist da natürlich auch der in neonazistischen Bewegungen immer vorhandene offene Rassismus und Antisemitismus.

Wir fahren nach Weiden!

In Weiden zeigt sich deutlich, welche Folgen mit Schröders Strategie einhergehen. Im lokalen Active Club konnte er einige junge Männer um sich scharen, die sich von genau diesen Inhalten angesprochen fühlen. Rechte Schmierereien, Sachbeschädigungen und auch Einschüchterungsversuche gegen politische Gegner*innen nehmen zu. Und die Lokalpolitik schaut größtenteils weg oder beschäftigt sich bestenfalls halbherzig mit dem Nazi-Problem in der eigenen Stadt. 

Weiden steht damit beispielhaft für die Realität vieler bayerischer Kleinstädte – Nazis treiben ungestört ihr Unwesen und bauen erfolgreich ihre Strukturen auf, weil man sie gewähren lässt. Betroffene rechter Umtriebe stehen weitestgehend allein da. Dieser Zustand ist unerträglich! Den Betroffenen und allen weiteren, die sich den Nazis entgegenstellen, gilt unsere Solidarität! 

Deswegen gehen wir am 18.10. in Weiden gemeinsam mit lokalen Antifaschist*innen auf die Straße um allen Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.

Um der örtlichen Politik und Stadtgesellschaft deutlich zu machen, dass ihre Untätigkeit nicht unbemerkt geblieben ist. Und um den Nazis zu zeigen, dass sie überall mit Widerstand zu rechnen haben – auch da, wo sie sich am sichersten fühlen.

Kommt mit uns am 18.10. nach Weiden für eine wütende Demo gegen Nazis, gegen die untätige Politik und die Zustände überall! 

Für einen konsequenten Antifaschismus: Nazis keine Ruhe lassen!