Rede auf einer Kundgebung organisierten autonomie gegen die Einschränkung von Versammlungsfreiheit in Nürnberg (22.4.23)

Wir, das antifaschistische Bündnis „Nicht Lange Facklen!“ organisieren seit 2019 Proteste gegen den jährlichen Aufmarsch der Neonazis vom III. Weg in Wunsiedel. Genauso wie in Nürnberg, versuchen auch die Behörden in Wunsiedel immer wieder uns Steine in den Weg zu legen. Seit 2019 sind Transparente auf eine Höhe von einem Meter beschränkt und zwischen den Transparenten muss ein Abstand von 3 Metern gehalten werden. Das greift nicht nur in unsere Möglichkeiten, den Ausdruck unserer Demonstration selbst zu bestimmen, ein, sondern ermöglicht den Cops auch jederzeit und anlasslos Demonstrationsteilnehmer*innen zu filmen. Gepaart mit massiver Polizeibegleitung, die nur auf einen Anlass warten, losprügeln zu können, soll unser Protest eingeschüchtert werden.

All das – Die Einschränkungen von Versammlungsfreiheit, die Millionen an Euros für Einsatzkräfte, Hubschrauber und Material und immer wieder auch verletzte Antifaschist*innen – nimmt dieser Staat nur zu gerne in Kauf, wenn es darum geht, Nazis einen reibungslosen Ablauf ihrer Veranstaltung zu ermöglichen. Überrascht uns das? – Natürlich nicht. Ob während der Pogrome der 90er Jahre, im NSU Komplex oder auch ganz aktuell: Immer wieder hat dieser Staat deutlich gemacht, dass er im Zweifel auf der Seite der Nazis steht und Antifaschist*innen mit aller Härte verfolgt. Als radikale Linke, die für eine andere, bessere Gesellschaft kämpft, können wir uns niemals auf ihn verlassen.

Und trotzdem, egal wie unversöhnlich wir diesem Staat gegenüberstehen, sind wir immer wieder und bei vielen unserer Aktionsformen darauf angewiesen, dass die bürgerlichen Freiheiten, wie beispielsweise das Versammlungsrecht, auch für uns gelten. Gegen Hundertschaften hochgerüsteter und militarisierter Cops können wir Demonstrationen aktuell nicht selbstbestimmt durchsetzen. Das hat die Welcome to Hell Demo bei G20 gezeigt, genauso wie im kleinen die Demonstrationen in Wunisedel. Es braucht also den gesellschaftlichen Druck, um Bürger*innenrechte, die nichts anderes als Abwehrrechte gegen den Staat sind, zu erhalten und auszuweiten. Gleichzeitig kann das für uns als radikale Linke nicht alles sein, uns muss es um mehr gehen, als das Demonstrationsrecht in einem bürgerlich-kapitalistischen Staat zu verteidigen. Uns geht es um nichts weniger als Kapital und Nation abzuschaffen und das gute Leben für alle zu erkämpfen.

Lassen wir uns also auf die demokratischen Spielregeln ein, versuchen unsere Rechte vor Gericht einzuklagen oder parlamentarisch zu verteidigen, dann laufen wir immer auch Gefahr uns selbst zu beschränken. Wir laufen Gefahr gar nicht mehr darüber nachzudenken, dass unsere Kämpfe auch anders aussehen könnten. Uns daran zu gewöhnen, dass politischer Protest eben daraus besteht, Gerichtsdokumente zu wälzen, Soliparties für die nächste Klage zu schmeißen und dann doch zwischen Doppelspalier zu laufen,, abgefilmt zu werden und sich ab und an eine Ladung Pfeffer einzufangen.

Dieser Widerspruch lässt sich nicht allgemein auflösen. Wir können immer nur im Korkrenten entscheiden, ob es sinnvoll ist das Spiel von Gerichten, Parlamenten und Zivilgesellschaft mit zu spielen. Wir können nur im Konkreten entscheiden, wann es besser wäre, deren Spielregeln zu brechen oder einfach ein ganz anderes Spiel zu spielen. Aber wir können für diese Entscheidungen auf den Erfahrungsschatz von Genoss*innen aus vielen Jahrzehnten zurückgreifen, genauso wie wir von Genoss*innen überall auf der Welt lernen können. Es gilt die Art wie wir Politik machen und wie wir soziale Beziehungen leben, genauso immer wieder zu überdenken wie unsere Aktionsformen und die Mittel die wir wählen.

Abschließend wollen wir noch sagen, auch wenn wir den Widerspruch nicht auflösen können: Wir spüren den deutlichen Wunsch nach mehr Ungehorsamkeit, mehr Solidarität und mehr Wut!